Irrlichter der Krieger

Joachim Sartorius

 

Joachim Sartorius

Rebecca Horn gibt uns mit ihrer Kunst immer wieder neue verstörende Gleichnisse der menschlichen Existenz. Eine der vielseitigsten Künstlerinnen unserer Zeit, die in den unterschiedlichsten Medien arbeitet – Skulptur, Installation, Performance, Malerei, Film und Dichtung -, hat sie über Jahrzehnte ein hochkomplexes Werk geschaffen, das von metaphysischen Fragen und einer heftigen existenziellen Sehnsucht grundiert und zusammen gehalten wird.
Es ist die Sehnsucht, dem Menschen, seiner Wahrnehmungsfähigkeit, seiner Leidensfähigkeit, seinem Umgang mit Schönheit, Trauer und Tod auf den Grund zu gehen. Indem sie unsere Sinne schärft, sagt sie uns, wer wir sind. Es gibt diese Menschensehnsucht, und es gibt, von ihren frühesten Werken an, eine Weltsehnsucht, ein Sehnen, an die Grenzen der Erfahrung zu stoßen, das eigene Sein, den eigenen Körper so zu spannen, dass sie an Welt und Kosmos streifen.

 

Hinter flachen, goldenen Schalen stehen skulpturale Zeichen, die in ihren menschlichen Maßen die eigene Person im Spiegel zeigen und wandernde Seelenlichter in den Raum werfen. Diese Skulpturen sind von einem Totenkopf gekrönt. Er ist der eiserne Abguss einer ‚capuzzelle‘, eines Totenschädels, den Rebecca Horn bei den Recherchen für ihre Installation „Spiriti di Madreperla“ in den Katakomben von San Gaudioso in Neapel fand. 333 dieser Totenköpfe brachen sich am Jahresende 2002 ihren Weg aus dem Pflaster der Piazza Plebiscito und verbanden die Welt der Toten und ihrer Verehrungsrituale mit den 77 über dem Platz schwebenden perlmuttschimmernden Aureolen in nachtblauer Himmelshöhe. Diese ‚capuzzelle‘ haben Rebecca Horn über Jahre und auf vielen Stationen – Berlin, Neu Delhi, Maribor, Moskau und in La Llotja Palma - Mallorca – begleitet.
La Llotja war der Abschluss dieses langen Weges, auf dem sie zu Wesen geworden sind und nicht nur als Zeichen der Selbstkonfrontation mit dem Tod, sondern auch als Zeichen der Lebensverlängerung, als Schutzgeister wie ein Wall um den Glutkern der Erde stehen, und Zürich beobachtet ihn nun.

 

Wenn drei Merkmale für die Kunst von Rebecca Horn in besonderem Maße charakteristisch sind – die Auseinandersetzung mit dem Ort, an dem sie stattfindet, der im Dialog mit dem Besucher erzeugte auratische Raum und die Wiederverwendung von Objekten in einem fast schon alchimistischen Prozess -, so sind sie auch hier, in Zürich, alle drei in einer künstlerischen Sprache von unverwechselbarer Prägnanz verwirklicht. Was sind wir, die uns von großen Geheimnissen nähren, ohne die Toten? Die Kreuzung von Vertikale und Horizontalen, und die weitere Kreuzung der rotierenden Spiegel im Zentrum mit den sich drehenden Spiegeln vor den Totenköpfen erzeugen einen magischen Raum von sakraler Schönheit, der den Erlösungsgedanken in ein vielschichtiges irrlichterndes Bild fasst.